Gästetypen 2.0 – spezielle Gäste im digitalen Zeitalter
Der Wirt kennt sie lange schon, seine Pappenheimer: der schwatzhafte Stammgast, der wählerische Feinschmecker, der gewitzte Geizhals, der penetrante Prahlhans, der späte Säufer, der notorische Nörgler und der zwielichtige Zechpreller.
Nebst diesen klassischen Gästetypen sind dank und wegen der virtuellen Welt Mitarbeiter in der Gastronomie mit neuen, teils skurrilen Gästetypen konfrontiert. Sie fordern den Gastgeber heraus, bergen aber auch neues Kundenpotential. Eine – nicht immer ganz ernstzunehmende – Typologie der Gäste 2.0:
Der Foodpornstar
Mit der Mission, eine grosse virtuelle Welt zu füttern, betritt der Foodpornstar, bewaffnet mit seinem Smartphone, Ihr Restaurant. Kaum ist das Essen am Tisch, zückt er nicht Messer und Gabel, sondern fängt mit Knipsen an. Sein Gegenüber, das sich zu langweilen beginnt und sein Essen, das langsam immer kälter wird, interessieren ihn nicht. Es zählt das optimale Essensfoto, das er sogleich mit dem Hashtag #foodporn auf Facebook oder Instagram postet. Es soll schon Käsekuchenfotos mit über 1‘000 Likes gegeben haben; diesen Olymp will auch er besteigen und wenigstens seine Seele nähren, wenn der Magen schon leer bleibt.
Wie gehen Sie mit dem Foodspornstar um? Spezielle Kreationen sind Ihr geistiges Eigentum und geschützt. Sie können daher, auch um ein gewisses Ambiente im Restaurant beizubehalten, die Gäste darauf hinweisen, dass die Essensfotos in Ihrem Lokal nicht erwünscht sind, wie dies etwa ein Lokalinhaber in Berlin getan hat. Sie können aber auch von der Knipserei profitieren. Gestalten Sie ansprechende Kreationen, schaffen Sie gute Lichtverhältnisse, die Fotos werden sich im Netz verbreiten und Sie können mit wenig Aufwand kostengünstige Werbung machen. Zudem können auch Sie von zu Hause aus der Konkurrenz auf die Teller schauen und sich inspirieren lassen.
Der Pokémonjäger
Während früher Kunden mit Hunden Gastwirte vor Herausforderungen stellten, schleppen heute selbsternannte Jäger viele andere Tiere mit sich, sie heissen Pikachu, Pummeluff oder Tragosso. Die Kunden, müde von der Jagd, sehnen sich nicht etwa nach gutem Essen, nein, sie dürsten vor allem nach einem: Strom. Das Smartphone, von der Pokémonjagd oder anderen Aktivitäten, ausgezehrt, soll in Ihrem Lokal wieder Energie erhalten, damit die virtuellen Haustierchen gehegt und gepflegt werden können.
Wie gehen Sie mit dem Pokémonjäger um? Auch hier können Sie mittels Schildern darauf hinweisen, dass Sie das Spielen und das übermässige Energietanken ohne entsprechende Konsumation in Ihrem Lokal nicht gestatten. Ob es sich nach wie vor lohnt, auf den bereits veralteten Trend aufzuspringen, ist fraglich. Sinnvoll kann die Nutzung dann sein, wenn Ihr Lokal ohnehin zentral in der Stadt liegt. Bieten Sie zum Menü eine Stromversorgung an, streuen Sie Lockmodule, die nicht nur die virtuellen Tierchen, sondern v.a. Ihre Kundschaft anlockt. Falls Ihr Lokal auch noch bei einer Arena liegt, bieten Sie dem, der sie erobert ein Gratisgetränk. Achtung, die Jäger haben Sitzleder. Sollten Sie die Pokémonjäger nicht mehr loswerden, erzählen Sie einfach, dass ein seltenes Pokémon ein paar Strassen weiter gesichtet wurde. Und weg sind sie.
Der Enzyklopädist
Er oder sie ist eine wandelnde Enzyklopädie, sein Wissen trägt er aber nicht im Kopf, sondern in seinen Händen. Das Smartphone ist sein ständiger – und auf Dauer ganz bestimmt einziger – Begleiter. Beim Blick auf die Speisekarte weist er Sie darauf hin, dass Sie online andere Menüs anbieten, seine Auswahl hat er eben noch gegoogelt und mokiert sich darüber, dass die gleiche Mahlzeit bei der Konkurrenz ein paar Fränkli billiger sei. Noch während Sie ihm einen Wein vorschlagen, demonstriert er Ihnen eine Weinapp, die noch viel passendere Vorschläge zu seinem Menü macht. Dank den Bewertungsplattformen kennt er Ihre Schwächen, die er auszunutzen weiss und noch während des Essens verfasst er einen Beitrag auf Lunchgate.
Wie gehen Sie mit dem Enzyklopädisten um? Bleiben Sie ruhig und lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Niemand kann alles wissen, stehen Sie dazu. Schulen Sie Ihr Personal darin, wie man mit Reklamationen umgeht. Falls Sie Speisekarten online stellen, aktualisieren Sie diese ausreichend. Nutzen Sie die Chancen von Bewertungsportalen und Sozialen Medien.
Der Trendethiker
Auf Vegetarier und Veganer haben sich die Gastronomen in den letzten Jahren gut eingestellt. Aber unter dem Deckmäntelchen der „Nachhaltigkeit“ und „Gesundheit“ entwickeln sich über den regen virtuellen Austausch gerade immer wieder neue Foodamentalismen. Ihr Essen heisst z.B. „Healthy Food“ oder „Superfood“. Ihr Chia-Samen-Porridge oder püriertes Bananen-, Spinat-, Avocado-, Agavendicksaft-Getränk, das sie retrospektiv ins postnatale Babyalter und prospektiv ins prämortale Greisenalter versetzt, fordern sie auch im Restaurant ein. Andere wiederum knabbern genügsam, aber schwer, an ihrem makrobiotischen* Blumenkohl, um das überragende, gesunde Geschmackserlebnis im nächsten Blog kundzutun. Hauptsache es ist alles schön „healthy“, „super“ und erzählt am besten die „story“ ihres Lebens.
Wie gehen Sie mit dem Trendethiker um? Eine möglichst ökologisch, nachhaltige Ernährung, die längst kein kurzlebiger Trend mehr darstellt, ist in Anbetracht der knapper werdenden Ressourcen durchaus angebracht, worauf man sich als Gastwirt auch ernsthaft einstellen kann. Hingegen wird es kaum möglich und sinnvoll sein, allen kommenden und gehenden Trends Rechnung zu tragen. Falls Sie einen Trend als langlebig erachten, spezialisieren Sie sich. Ansonsten ist den einzelnen Untergruppen mit Humor zu begegnen. Sie haben einen Frutarier** in Ihrem Restaurant? Servieren Sie ihm eine Kreation aus sieben Tomaten. Sie finden ein Freeganer*** in Ihrer Mülltonne? Bieten Sie ihm Ihre Speisereste an oder vermeiden Sie diese, indem Sie ein Foodwastekonzept entwickeln. Das schont auch die Budgetkasse.
* Das Gemüse wird nur
ganz kurz gedämpft oder gekocht, die Zubereitung geschieht nach den Prinzipien
des Yin und Yangs.
** Ein strenger Veganer,
der nur pflückbares Obst und Gemüse isst, um auch das Leid der Pflanzen zu
verhindern.
*** Sucht in den
Mülltonnen nach Lebensmitteln, nicht aus Geldmangel, sondern weil er aus
politischen Gründen sich gegen die Wegwerfgesellschaft einsetzt.
Bildquelle: Lane Hartwell/fetching.net
Aktualisiert am 22.12.2016