Schützt das Wirtepatent vor Hygieneskandalen und Konkurs?
Dabei wird darüber gestritten, ob das Wirtepatent die Lebensmittelsicherheit erhöht, zu weniger Konkursen führt und ob eine Wirteprüfung grundsätzlich eine sinnvolle Eintrittshürde ist, um das Sprichwort „Wer nichts wird, wird Wirt“ zu widerlegen.
Doch was taugen die Argumente der Befürworter und Gegner? Und was sind unsere Erfahrungen bei der Schweizer Gastronomiefernschule? Gehen wir jedes Argument der Reihe nach durch.
Das Hygieneargument
Zuerst dreht sich die Diskussion immer um die Hygiene und um die Lebensmittelsicherheit. Die Befürworter des Wirtepatents argumentieren, dass mit einer obligatorischen Prüfung die gesetzlichen Mindeststandards besser eingehalten werden. Die erhofften Folgen: Weniger Lebensmittelskandale und ein tieferer Kontrollaufwand für die Lebensmittelkontrolleure. Die Gegner des Wirtepatents verneinen einen solchen Zusammenhang.
Stimmen aus der Branche
Die Erfahrungen in den Kantonen sind gemischt. Die Kantonschemiker der Kantone Zürich, Basel und Solothurn sprechen sich (wieder) für eine Mindestausbildung aus.
- In Zürich müssen die Kontrolleure seit der Abschaffung des Wirtepatents wieder mehr kontrollieren. Der Kantonschemiker Martin Brunner meint in einem Artikel von barfi.ch: „Seit dem Wegfallen der Ausbildung müssen wir schon mehr Aufwand in Aufklärung und Ausbildung stecken. Es muss von uns alles genauer kontrolliert werden.“
- Auch der Solothurner Kantonschemiker Martin Kohler sagt in der Solothurner Zeitung, dass das Wirtepatent für die Behörden unterstützend wirke. Besonders Quereinsteigern müsse man so nicht mehr „das Abc“ der Lebensmittelbranche erklären.
- Philipp Hübner, Kantonschemiker in Basel, widerspricht auf barfi.ch ebenfalls der Kantonsregierung und unterstreicht den Wert des Wirtepatent Basel: „Das Wirtepatent bietet eine hygienische Grundschulung, auf die wir ungerne verzichten würden.“
Es gibt aber auch Gegenstimmen. Im Kanton Graubünden, wo das Wirtepatent 1998 abgeschafft wurde, konnte Rolf Hanimann, Leiter des kantonalen Amts für Lebensmittelsicherheit, gemäss der Südostschweiz seit der Abschaffung des Wirtepatents keine Veränderung der Hygienemängel beobachten.
Erfahrungen der Schweizer Gastronomiefernschule
Bei der Schweizer Gastronomiefernschule machen wir ähnliche Erfahrungen wie die meisten Kantonschemiker. Viele Quereinsteiger haben kaum Kenntnisse in der Lebensmittelsicherheit, sind aber nicht bereit, freiwillig eine Weiterbildung zum Thema zu besuchen, da sie sich der Wichtigkeit nicht bewusst sind. Das Wirtepatent bringt hier zwei Vorteile: Die kantonalen Behörden müssen weniger kontrollieren; die Gastronomen sind für die Eröffnung besser vorbereitet und wissen, welche Massnahmen sie für die Lebensmittelsicherheit umsetzen müssen.
Diese Erkenntnisse werden durch Umfragen bei unseren Kursteilnehmenden gestützt. Viele Kurstabsolventen geben beim Kursfeedback an, dass für die Praxis die Themen Lebensmittelrecht und Hygiene besonders wertvoll sind.
Das Konkursargument
Der zweite Streitpunkt betrifft den betriebswirtschaftlichen Erfolg von Gastrobetrieben. Kaum eine andere Branche kennt so hohe Konkursraten wie die Gastronomie. Die Befürworter des Wirtepatents argumentieren, dass mit der Wirteprüfung weniger betriebswirtschaftliche Fehler begangen werden und dadurch weniger Betriebe schliessen müssen (oder überhaupt eröffnet werden). Die Gegner des Wirtepatents hingegen sehen keinen Zusammenhang zwischen Wirtepatent und Konkursraten.
Stimmen aus der Branche
Gemäss dem Branchenspiegel von Gastrosuisse haben die Anzahl Betriebsschliessungen in den letzten 20 Jahren stark zugenommen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dies nur auf die Abschaffung des Wirtepatents zurückzuführen ist, sondern auch auf einen Strukturwandel im Gastgewerbe. Für die einzelnen Kantone liegen keine Daten vor, weshalb die Konkursrate zwischen Kantonen mit und ohne Wirtepatent nicht beurteilt werden kann.
Laut einigen kantonalen Gastroverbänden und Behörden hat die Abschaffung des Wirtepatents vermehrt zu unüberlegten Betriebseröffnungen geführt. Jonas Motschi, Chef des Amts für Wirtschaft und Arbeit in Solothurn, sagte beispielsweise in der Solothurner Zeitung: „Es gab schon Neueinsteiger, die am Morgen mit der Idee, eine Beiz zu eröffnen, aufgewacht sind und sich daran gemacht haben. Für sie ist es kaum je gut herausgekommen.“
Erfahrungen der Schweizer Gastronomiefernschule
Bei unseren Kursteilnehmenden machen wir beide Erfahrungen. Einerseits sind einige angehende Betriebsführer bereits sehr gut vorbereitet. Besonders Gastronomen mit mehrjähriger Berufserfahrung sind sich bewusst, wie wichtig die Betriebsführung, Finanzierung und die rechtlichen Auflagen für einen Betrieb sind. Von diesen Kursteilnehmenden hören wir oft Erfolgsgeschichten von gut laufenden Betrieben.
Andererseits haben wir besonders bei Quereinsteigern viele Kursteilnehmende, die sich vor dem Kurs kaum Gedanken zur Betriebsführung und den rechtlichen Auflagen gemacht haben. Während des Kurses stellen Sie dann fest, dass zu einer Betriebseröffnung mehr gehört, als eine Take-away Theke und ein Werbeschild. Diese Quereinsteiger sowie viele Küchen- und Serviceangestellte profitieren sehr stark von den Wirtepatentkursen.
Das Bildungsargument
Die dritte Diskussion dreht sich um das Thema Bildungspflicht. Die Befürworter des Wirtepatents argumentieren, dass eine obligatorische Ausbildung wie in anderen Branchen sinnvoll sei und dass sich besonders „Problemgastronomen“ nicht freiwillig weiterbilden würden. Die Gegner hingegen meinen, freiwillige Weiterbildungen reichten aus. In ihren Augen stellt eine Bildungspflicht somit eine unnötige Eintrittshürde dar.
Stimmen aus der Branche
Grundsätzlich sind freiwillige Weiterbildungen sinnvoll, da sind sich alle Akteure einig. Die Urner Regierung geht sogar so weit und schreibt im Bericht zur Revision des Gastgewerbegesetzes, dass Wirtekurse nur dann sinnvoll seien, wenn sie freiwillig besucht werden und keine einmalige, zwangsverordnete Schnellbleiche darstellten.
Das Problem: Freiwillige Weiterbildungen besuchen selten jene, die es wirklich nötig haben. Als der Gastroverband Basel-Stadt während zwei Jahren kostenlose Hygienekurse für Mitarbeitende anbot, nahmen nur Teilnehmer von Betrieben teil, die schon einen hohen Hygienestandard hatten. Auch die Präsidentin von Gastro Zug sagt laut barfi.ch, dass sich die erfolgreichen Quereinsteiger weiterbilden, während die erfolglosen bildungsresistent sind.
Erfahrungen der Schweizer Gastronomiefernschule
Bei diesem Punkt sind wir der gleichen Meinung wie die Gastroverbände. Viele Quereinsteiger würden ohne Wirtepatent keine Weiterbildung machen.
Ein häufiges Szenario bei uns:
- Die angehenden Gastronomen ärgern sich, dass sie ein Wirtepatent machen müssen.
- Weil Pflicht, melden sich trotzdem für das Wirtepatent an und merken im Verlauf des Kurses, dass zum Wirten auch Personalrecht, Deklarationsvorschriften und Erfolgsrechnung gehören.
- Am Schluss sind sie dann dankbar, dass sie diese essenziellen Themen lernten, die sie vor dem Kurs nie als wichtig erachtet hätten.
Erfolg nur mit dem Wirtepatent?
Natürlich ist das Wirtepatent kein Erfolgsgarant. Auch in Basel gibt es mit dem Wirtepatent schlechte Wirte, genauso wie es in Graubünden ohne Wirtepatent gute Wirte gibt. Aber eine kompakte Prüfung zu den wichtigsten Themen des Gastgewerberechts, der Hygiene und der Betriebsführung stellt ein Grundwissen sicher. Und zwingt den einen oder anderen Quereinsteiger vielleicht auch zur Überlegung, ob ein Einstieg in die Gastronomie wirklich das Richtige für ihn ist.
Die Zeiten von wochenlangen Pflichtweiterbildungen sind dabei allemal vorbei. Wirtepatentanwärter können heute zwischen Tageskurs, Abendkurs und Fernkurs wählen. Im Übrigen können sich erfahrene Gastronomen und solche mit Hotelfachschule in fast allen Kantonen von der Prüfung dispensieren lassen.
Aktualisiert am 28.06.2018